Was ist ein Fatique-Syndrom?
Das Wort „Fatique“ bedeutet soviel wie „Müdigkeit oder Erschöpfung“. Bei Krebspatienten geht dieses Gefühl jedoch über das normale Maß deutlich hinaus. Es kommt zu einer sehr starken körperlichen und geistigen Erschöpfung, die unabhängig davon ist, ob im Vorfeld eine besonders anstrengende Tätigkeit verrichtet wurde oder nicht. Dieser Zustand, der meist über mehrere Wochen andauert, bessert sich auch nicht durch Schlaf oder Erholungspausen.
Wie äußert sich ein Fatique-Syndrom?
Neben der anhaltenden Müdigkeit und einem erhöhten Bedürfnis nach Schlaf fühlen sich die Betroffenen sehr erschöpft und kraftlos. Die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ist reduziert. Vielen Patienten fehlt der Antrieb selbst für einfache Alltagstätigkeiten. Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten nehmen zu. Etwa neunzig Prozent der Patienten leiden während oder kurz nach der Therapie am Fatique-Syndrom. Zwischen 20 und 40 Prozent der Patienten weisen auch nach Monaten, manchmal Jahren, Symptome auf. Hierbei spricht man vom chronischen Fatique.
Wie kommt es dazu?
Diese Art der Erschöpfung kann viele Ursachen haben. Häufig treten diese in Kombination auf. Die Tumorerkrankung selbst aber auch die Behandlungen wie Chemotherapie oder Bestrahlung greifen nicht nur den Tumor sondern auch den gesamten Körper an. Oft haben die Therapien Einfluss auf das Blutbild. So kann eine verminderte Anzahl gesunder Blutzellen zu einer Schwächung des Immunsystems oder zu Blutarmut (Anämie) führen. Aufgrund eines Mangels an roten Blutkörperchen ist eine ausreichende Versorgung der Organe mit Sauerstoff nicht mehr gewährleistet, was zu einem Leistungsabfall führt. Andere Auslöser können ein Mangel an Bewegung, eine falsche Ernährungsweise, Störung des Hormonhaushaltes, Schlafstörungen, Nebenwirkungen von Medikamenten, Infekte oder andere Begleiterkrankungen sein. Als mögliche Ursachen eines chronischen Fatiques gelten bisher unterschätzte Langzeitfolgen der Krebstherapie. Aber auch Bewegungsmangel und zu viel Schonung können eine chronische Fatigue verstärken. Ein wichtiger Grund scheint der durch die Chemotherapie vermehrte Abbau von Muskulatur, welcher auch nach Abschluß der Chemotherapie weiter anhält. Aber auch psychische Komponenten wie Angststörungen oder depressive Phasen aufgrund der Diagnose sind nicht zu unterschätzen. Häufig können keine eindeutigen psychischen oder organischen Ursachen festgestellt werden.
Was kann man dagegen tun?
Zunächst ist es sinnvoll, möglichst die genauen Ursachen zu identifizieren, um einen zielgerichteten Behandlungsansatz zu finden. So können bei einer nachweisbaren Anämie Maßnahmen zur Blutbildung ergriffen werden, damit der Körper wieder ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt wird. Bei Schlafstörungen hat die
Wiederherstellung eines regelmäßigen Schlafrhythmus
oberste Priorität. Wenn es gar nicht anders geht, können kurzfristig schlaffördernde Mittel verordnet werden. Auf Dauer sind sie jedoch keine Lösung. Vorsichtig sollte man mit frei verkäuflichen Präparaten sein, da einige zu unerwünschten Wechselwirkungen mit Krebsmedikamenten führen können. Für manche Betroffene sind Entspannungsverfahren wie Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Yoga, Qigong oder Meditation ideal. Auch Massagen haben eine ausgleichende Wirkung. Die
Behandlung von Begleiterkrankungen
stellt außerdem eine Säule der Behandlung dar. Eine schwere Erschöpfung kann auch durch Herz- oder Lungenerkrankungen ebenso wie durch eine Schilddrüsenunterfunktion entstehen. Dies sollte der behandelnde Arzt überprüfen. Auch Medikamente müssen in Bezug auf etwaige Nebenwirkungen näher in Betracht gezogen werden.
Psychotherapie
kann dabei unterstützen, den Umgang mit der Erkrankung zu verbessern. Sorgen, Angst und Schlaflosigkeit verstärken bei vielen Betroffenen die Symptome einer Fatigue. Die anhaltende Schwäche kann sich wiederum auf die Stimmung auswirken. Mit einer Krebserkrankung und ihren Folgen zu leben, gilt als ein Risikofaktor für eine Depression. Vor allem Patienten mit einer chronischen Fatigue profitieren nicht nur von der Behandlung der rein körperlichen Ursachen sondern auch von psychoonkologischer Beratung. In Krankenhäusern und vor allem in Reha-Kliniken gibt es in der Regel geeignete Beratungsangebote. Für ambulant betreute Krebspatienten sind die regionalen psychosozialen Krebsberatungsstellen eine gute Anlaufstelle. Eine
ausgewogene und gesunde Ernährung
ist Grundlage dafür, dass der Körper mit allen wichtigen Spurenelementen und Mineralstoffen sowie Vitaminen versorgt wird. Eine Krebstherapie kann hier allerdings zu einem Ungleichgewicht führen. Viele Patienten leiden unter Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit und Problemen bei der Nahrungsaufnahme. Häufig gerät der Flüssigkeitshaushalt durcheinander. Sowohl die fehlenden Kalorien als auch die Verschiebungen im Mineralstoffwechsel wirken sich negativ auf die Leistungsfähigkeit aus. Hier kann eine qualifizierte Ernährungsberatung sinnvoll sein. Diese findet in vielen Krebszentren und in den Reha-Kliniken statt, ist aber auch ambulant möglich. Die Krankenkassen können hierbei Ansprechpartner nennen und übernehmen die Kosten für eine Beratung. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass
regelmäßige sportliche Betätigung
positive Auswirkungen auf das Fatique Syndrom hat. So treten Symptome nicht nur weniger auf, sie können auch reduziert werden. Da körperliche Aktivität fast alle Organsysteme anregt und auch das Gehirn beeinflusst, wirkt sich dies signifikant auf das allgemeine Wohlbefinden aus.
Wie viel und welcher Sport ist empfehlenswert?
Die Intensität und der Umfang körperlicher Fitness sollten immer auf die Situation des Patienten angepasst sein. Zu Beginn genügt schon ein kleiner Spaziergang. Körperliche Aktivitäten sollten täglich in den Alltag integriert werden. Treppe statt Lift, kleine Besorgungen zu Fuß sind nur einige Beispiele. Vor dem Beginn eines regelmäßigen Sportprogramms ist ein Gespräch mit dem behandelten Arzt über die Sporttauglichkeit und die aktuelle Fitness ratsam. Vor allem sollten Betroffene Freude an der Art der körperlichen Betätigung haben. Dies kann für den einen Gartenarbeit, für den anderen Yoga oder tanzen sein. Günstig sind anfangs moderate Sportarten wie spazieren, NordicWalking, schwimmen oder Rad fahren. Das Training sollte langsam gesteigert werden. So können in den ersten Tagen bereits dreimal fünf Minuten völlig ausreichend sein. Die Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention sowie der Deutschen Krebsgesellschaft sieht möglichst tägliche Ausdauereinheiten und zwei Mal wöchentlich Krafttrainingseinheiten vor. Eine Einheit umfasst 30 bis 45 Minuten. In Deutschland gibt es mittlerweile rund 1000 Krebsnachsorge Sportgruppen. Qualifizierte Sportleiter trainieren unter fachkundiger Anleitung Patienten mit ihren jeweiligen Krankheitsbildern. Für viele Betroffene kann Sport in der Gruppe und mit Gleichgesinnten sehr motivierend wirken und dabei helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden. Allerdings müssen ausreichend Ruhe-und Erholungsphasen eingehalten werden. Der Körper benötigt Zeit zur Regeneration. Überanstrengung sollte vermieden werden, da dadurch das Fatique verstärkt werden kann. Generell haben Erfahrungen gezeigt, dass sich die positiven Effekte nach körperlicher Betätigung bereits nach kurzer Zeit einstellen und die Fatique Symptome reduziert werden können.
Was ist im Alltag zu beachten?
Trotz empfohlener körperlicher Betätigung sollten Patienten ein Gespür für ihren eigenen Körper entwickeln. Viele merken, dass ihre Energie begrenzt ist und sie nicht soviel leisten können, wie vor der Erkrankung. Deshalb ist es sinnvoll, sich die Kräfte einzuteilen. Tätigkeiten wie das Erledigen der Haus- und Gartenarbeit muss nicht an einem Stück stattfinden, sondern kann etappenweise auf den Tag oder die Woche verteilt werden. Auch eine Mittagsruhe oder ein Nickerchen zwischendurch unterstützen dabei, wieder neue Energie zu sammeln. Oft fällt es schwer, alte Verhaltensmuster abzulegen und neu zu überdenken. Einige psychosoziale Krebsberatungsstellen bieten mittlerweile sogenannte Fatigue-Trainings an, in denen Betroffene im Umgang mit den Belastungen einer Fatigue geschult werden. Reicht die Kraft im Alltag trotzdem nicht aus, sollte man sich unbedingt Unterstützung organisieren. Familienangehörige, Freunde oder Bekannte können möglicherweise zur Seite stehen. Viele Möglichkeiten der Unterstützung können die Krankenkassen teilweise oder ganz finanzieren. Das können zum Beispiel verordnungsfähige Hilfsmittel sein, etwa ein Duschhocker oder ein Rollator, um weiter mobil zu bleiben. Auch haushaltsnahe Dienstleistungen können auf Anfrage übernommen werden. Ebenso kann die Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst sinnvoll sein.
Ist eine medikamentöse Therapie ratsam?
Die Behandlung der Fatigue erfolgt heute in erster Linie ohne Medikamnete. Es gibt Studien zu sogenannten Psychostimulanzien. Diese wirken zwar anregend, haben jedoch starke Nebenwirkungen wie Nervosität, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit. Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung bekommen in schweren Fällen Steroide verordnet. Durch ihre entzündungshemmende Wirkung können sie die Müdigkeit reduzieren. Zu Aufbaupräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln wurde viel im Zusammenhang mit Fatique geforscht, was allerdings zu keinem belegbaren Ergebnis führte. So genannte Energy Getränke mit Taurin und Coffein oder belebende Teesorten konnten allerdings in Studien einen positiven Effekt nachweisen und können insbesondere in den Tagesphasen mit Bedarf an Leistungsfähigkeit benutzt werden.
Patienten, die während einer Krebserkrankung eigenständig etwas gegen Fatigue einnehmen möchten, sollten dies im Vorfeld mit ihrem Arzt klären. Einige Präparate können zu unerwünschten Wechselwirkungen mit der Krebstherapie führen. Nahrungsergänzungsmittel dürfen per Gesetz in Deutschland keine wirksamen Stoffe enthalten, von denen ein therapeutischer Effekt zu erwarten wäre. Das wird bei vielen Produkten verschwiegen, die man online oder im Versandhandel bestellen kann. Bei Präparaten aus dem Ausland kann es Qualitätsmängel geben, die von gefährlichen Inhaltsstoffen, Aufputschmitteln bis hin zu Verunreinigungen reichen. Trotzdem stößt man im Internet auf entsprechende Angebote gegen Fatigue, von denen Fachleute dringend abraten.