Bei Mangelernährung ist Vorsicht geboten

Fast jeder zweite Tumorpatient ist betroffen: unfreiwilliger Gewichtsverlust als Folge einer Krebserkrankung. Bei der sogenannten Tumorkachexie verlieren Betroffene Fett- und Muskelmasse und somit Körpergewicht. Bei bestimmten Krebsarten im Kopf-Halsbereich und oberen Magen-Darmtrakt, bei aggressiven Non-Hodgkin-Lymphomen und bei kleinzelligem Lungenkrebs sind oft sogar noch mehr Patienten betroffen. Da sich eine Abmagerung nicht nur auf den Kräftehaushalt negativ auswirkt sondern auch die Prognose der Erkrankung beeinflusst, ist es ratsam, sich frühzeitig professionelle Hilfe zu suchen.

„Ein unfreiwilliger Gewichtsverlust ist für den Tumorpatienten meist schon das erste Anzeichen für seine Erkrankung. Zum Zeitpunkt der Diagnose wird bei 50-80 % der Tumorpatienten bereits eine Mangelernährung festgestellt“, berichtet Uta Fernkäse. Die Diplom-Trophologin aus Jena in Thüringen arbeitet seit vielen Jahren mit onkologischen Patienten und weiß um die Probleme, die eine Mangelernährung mit einhergehenden Kräfteverfall während einer Krebsbehandlung nach sich ziehen kann.

Welche Ursachen gibt es für eine Mangelernährung?

Für die Entstehung einer Tumorkachexie sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Maligne Tumore bilden appetitshemmende Botenstoffe und verursachen chronische Entzündungen, die den Stoffwechsel beeinflussen. Botenstoffe des Immunsystems, sogenannte Zytokine, werden aktiv und wirken auf den Hormon- und Stoffwechselhaushalt, sodass trotz des zunehmenden Verlusts an Fett- und Muskelmasse appetitsteigernde und ein Hungergefühl auslösende Wirkungen ausbleiben.
„Das anorektische Syndrom spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Es ist ein Symptomkomplex aus Appetitlosigkeit, Geruchs- und Geschmacksstörungen. Es handelt sich um eine niedrigere Geschmacksschwelle für süß und erhöhte Geschmacksschwelle für bitter“, erklärt Uta Fernkäse. „Es kann außerdem durch körperliche Inaktivität, psychische Störungen, Schmerz, Infektionen und Operationen im Bereich des Verdauungstraktes und durch soziale Faktoren zur verminderten Energieaufnahme kommen.“

Die Gründe dafür sind vielfältig und können sowohl von der Krebserkrankung selbst als auch von den Therapien herrühren. Hierzu zählen beispielsweise Übelkeit und Erbrechen, vorzeitiges Sättigungsgefühl bei der Nahrungsaufnahme, Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen, Mundtrockenheit, schmerzhafte Entzündungen der Mundschleimhaut und des Zahnfleischs (Mukositis, Stomatitis), Pilzinfektionen der Mundschleimhaut (Mundsoor), Darmprobleme wie Verstopfung oder Durchfall, Schluckprobleme und Geruchsstörungen.
Wesentlichen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme haben die verschiedenen Therapien. Während einer Chemotherapie leiden viele Tumorpatienten unter Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen, Nahrungsmittelaversionen (tierisches Eiweiß), Durchfall und Verstopfungen. Verschiedene akute und chronische Komplikationen können durch eine Radiotherapie induziert werden.

Wann liegt eine Kachexie vor?

Die wichtigste Maßnahme zur Gewichtskontrolle ist der regelmäßige Gang auf die Waage. Damit kann die Gewichtsentwicklung genau beobachtet werden.

Für die Diagnosestellung einer Mangelernährung sind folgende Kriterien entscheidend:

  • ungewollter Gewichtsverlust in den letzten sechs Monaten von mehr als fünf Prozent oder
  • Body Mass Index (BMI) unter 20 und ungewollter Gewichtsverlust in den letzten sechs Monaten von mehr als zwei Prozent oder
  • starker Abbau der Muskulatur von Armen, Beinen, Schulter- und Beckengürtel (Muskelindex Männer < 7,26 kg/m2, Frauen < 5,45 kg/m2) und ungewollter Gewichtsverlust in den letzten sechs Monaten von mehr als zwei Prozent.

Welche Folgen kann eine Mangelernährung haben?

Eine Mangelernährung mit Symptomen wie Appetitlosigkeit mindert nicht nur die Lebensqualität, sondern kann ernsthafte Konsequenzen haben. Die Betroffenen sind anfälliger gegenüber bestimmten Erkrankungen wie Lungenentzündung, Harnwegsinfekten und Wundheilungsstörungen. Sie verlieren neben Fett auch Muskelmasse, was die körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. „Die Komplikationsrate ist bei spezifischen Tumortherapien wie Operation, Bestrahlung und Chemotherapie gesteigert oder eine Standardtherapie nicht möglich. Außerdem sind die Morbidität und die Mortalität erhöht sowie die Lebensqualität von Tumorpatienten vermindert. Die Kachexie ist des Weiteren die unmittelbare Todesursache bei 10-20 % dieser Patienten“, so die Ernährungsexpertin Uta Fernkäse.

Mögliche Auswirkungen einer tumorbedingten Mangelernährung auf den Körper :

Immunsystem: erhöhte Infektanfälligkeit
Muskel- und Skelettsystem: Verlust an Muskelmasse, Müdigkeit, schnelle körperliche Erschöpfung, Schwäche
Haut: Haarausfall, trockene und schuppige Haut, gestörte Wundheilung
Blut: reduzierte Funktionstüchtigkeit der roten Blutkörperchen
Herz und Atmung: Verschlechterung der Herzleistung, gestörter Herzrhythmus, Bluthochdruck, Schwäche der Atemmuskulatur
Körpergewicht: ungewollter Gewichtsverlust
Nervensystem: Angst, Depression, Teilnahmslosigkeit, verminderte Konzentrationsfähigkeit

 

Welche Maßnahmen sind zu empfehlen?

Die Therapie der Tumorkachexie sollte frühzeitig und durch verschiedene Maßnahmen erfolgen. Appetitsteigernde Mittel werden dabei ebenso eingesetzt wie Hemmstoffe der Zytokine, Steroide, nicht-steroidale antientzündliche Wirkstoffe, Aminosäuren und Thalidomid. In Kombination verschiedener Wirkstoffe ist die Wirkung höher als die Gabe einzelner Arzneimittel. Begleitende Maßnahmen wie Ernährungsberatung, individuelle Konzepte mit hochkalorischer, eiweißreicher Ernährung, gezieltem körperlichen Training und psychologischer Unterstützung sind sinnvoll. Beschwerden wie Zahnfleischentzündung, Durchfall und Übelkeit, die aufgrund von Krebstherapien auftreten und sich hemmend auf den Appetit und das Essverhalten auswirken, sollten behandelt werden.

Welche Ziele verfolgen die ernährungstherapeutischen Maßnahmen?

Die Ernährungstherapie ist ein integraler Bestandteil der supportiven Behandlungsmaßnahmen bei onkologischen Patienten. Die Zielsetzungen spezieller Maßnahmen sind:

  • Verbesserung des Ernährungszustandes bei Gewichtsverlust infolge Anorexie
  • Prophylaxe chemo- bzw. radiotherapiebedingter Gewichtsabnahme
  • Ernährungstherapie zur Verbesserung der Toleranz anderer Therapien (Operationen, Chemotherapie, Bestrahlung)
  • Erhaltung des Ernährungszustandes bei reversiblen oder irreversiblen gastrointestinalen Passagehindernissen
  • Verlängerung der Überlebenszeit bei unheilbar Erkrankten

Welche Möglichkeiten gibt es?

„Es ist wichtig, den Patienten im Hinblick auf Nährstoffbedarf, Applikationsart und Kostform von Beginn an mit einzubeziehen und dabei auf die Wünsche und Lebensumstände einzugehen“, empfiehlt die Ernährungsberaterin. „Es empfiehlt sich eine vorrausschauende Therapie, um eine drohende oder manifeste Malnutrition gar nicht erst aufkommen zu lassen.“

Lebensmittel, die Übelkeit erregen, sind eher zu meiden, ebenso besonders heiße, scharfe, saure oder zu süße Speisen, die die Schleimhäute reizen können. Welche Nahrungsmittel im Einzelnen besonders geeignet sind, hängt von der Krebserkrankung und dem Zustand des Patienten ab. Kann ein Patient keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen, sollten ihm Trinknahrung oder passierte Speisen gegeben werden. Die hierfür geeignete trinkfertige Sondennahrung enthält alle wichtigen Nährstoffe. Sie ist in verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlich. Lässt sich die Mangelernährung nicht aufhalten, ist eine Ernährung in Form von Infusionen über die Venen möglich.

Bei allen großen gastrointestinalen Eingriffen wird routinemäßig das Platzieren einer Sonde in Betracht gezogen. Selbst wenn Nahrung auf normalem Wege aufgenommen werden kann, wird der Energiebedarf häufig für längere Zeit nicht gedeckt.

Als nicht-medikamentöse Maßnahme empfiehlt es sich, körperlich aktiv zu bleiben und dem Muskelabbau entgegenzuwirken.

Information zur Interviewpartnerin

Uta Fernkäse ist Diplom-Trophologin und zertifizierte Ernährungsberaterin nach TCM. Sie hat viele Jahre in onkologischen Praxen als Ernährungstherapeutin gearbeitet. Seit 2012 hat sie ihre eigene Praxis in Jena und bietet Ernährungsberatungen, Seminare, Vorträge und Workshops an.

Möglichkeiten für weitere Informationen und Beratungen

Ernährungsberatung Uta Fernkäse
Grete-Unrein-Str. 2
07745 Jena
www.utafernkaese.de
E-Mail: mail(at)utafernkaese.de
Telefon: 0 36 41 - 63 96 990
Mobil: 0 176 - 61 71 95 88

  • Infobroschüren sind kostenlos erhältlich (auch als pdf-Format) unter www.krebsinformationsdienst.de oder www.krebsgesellschaft.de
  • Krankenkassen können Auskunft über onkologische Ernährungsberatungen in Wohnortnähe geben

 

Quellenverzeichnis:

Diplom-Trophologin Uta Fernkäse (Interview)

www.krebsinformationsdienst.de

www.Deutsche Krebsgesellschaft.de

www.medscape.de

 

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